Anleinverordnung ist Schutzgesetz |
Montag, den 24. November 2008 um 16:52 Uhr |
OLG Hamm Urteil vom 21.07.2008 - 6 U 60/08 (gekürzt) Eine städtische Hundeanleinverordnung ist ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 BGB. Begegnet auf öffentlicher Straße eine Radfahrerin einem Hund, der entgegen einer solchen Verordnung nicht angeleint ist, und kommt sie im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit zu Fall, so kann ein Anscheinsbeweis dafür sprechen, dass das Bewegungsverhalten des Hundes und damit die von ihm ausgehende Tiergefahr für ihren Sturz ursächlich waren. Die Klägerin und ihr Ehemann befuhren einen Wirtschaftsweg. Ihnen kamen der Vater des Beklagten und die Zeugin B als Fußgänger entgegen. Etwa 10 bis 20 m vor ihnen lief unangeleint der von ihnen ausgeführte französische Hirtenhund N, dessen Halter der Beklagte ist. Die Klägerin, die den Hund N kannte, sprach ihn während der Begegnung an und kam im engen zeitlichen Zusammenhang zu Fall; die näheren Umstände sind streitig. Sie erlitt hierbei einen Bruch des 9. Brustwirbelkörpers. Sie hat behauptet, der Sturz sei dadurch verursacht worden, dass N für sie von rechts kommend vor ihr Fahrrad geraten sei und das Vorderrad berührt habe. Der Beklagte ist gem. § 833 BGB als Halter des Hundes N der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, weil N den Sturz der Klägerin verursacht hat, denn der Sturz der Klägerin und ihre Begegnung mit dem freilaufenden Hund des Beklagten standen in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Unter diesen Umständen spricht ein Anscheinsbeweis für die Verursachung des Sturzes durch den Hund, weil dieser nicht angeleint war, obwohl gem. § 15 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt auf Straßen und in Anlagen Hunde nur von aufsichtsfähigen Personen angeleint geführt werden dürfen. Eine städtische Hundeanleinverordnung ist damit ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Da Schutzgesetze die Konsequenz bestimmter Gefahren und nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwartender Schadensereignisse sind, die sie vermeiden und steuern sollen, hat ein Verstoß gegen sie auch beweisrechtliche Konsequenzen, wenn das Schutzgesetz das geforderte Verhalten so konkret umschreibt, dass entsprechende Schlüsse aus der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes gezogen werden können. Hier war durch die ordnungsbehördliche Verordnung der Stadt konkret beschrieben, auf welche Weise die von Hunden ausgehende Gefährdung anderer Straßenbenutzer vermieden werden soll, nämlich dadurch, dass Hunde auf den Straßen nur angeleint geführt werden dürfen. Da aber der Hund N entgegen der Verordnung nicht angeleint war und sich deshalb bei der Begegnung mit der entgegenkommenden Klägerin frei bewegen konnte, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass sein Bewegungsverhalten ursächlich geworden ist für den Sturz der Klägerin. Dieser Anscheinsbeweis ist nicht erschüttert, da das aus der Zeugenvernehmung resultierende Beweisergebnis im Sinne des Beklagten günstigstenfalls offen ist; es sind aber nicht die Grundlagen des Anscheinsbeweises erschüttert worden, und erst recht sind nicht die Behauptungen des Beklagten zum Hergang des Unfallereignisses bewiesen worden. Deswegen haftet der Beklagte gem. § 833 BGB für die Folgen des von seinem Hund verursachten Unfalls. Die Klägerin braucht ebenfalls keine Anspruchskürzung gem. § 254 BGB wegen eigener Mitverursachung des Unfalls hinzunehmen. Dass sie den Unfall mitverschuldet hätte durch eine fehlerhafte, ins Besondere durch eine zu langsame Fahrweise, ist nicht bewiesen. Auch die Tiergefahr des eigenen Hundes der Klägerin, den sie zusammen mit ihrem Ehemann ausführte, führt hier nicht zu einer Anspruchskürzung. Zwar war der Hund M ebenfalls nicht angeleint. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass dieser Verstoß eine Auswirkung auf das Unfallgeschehen hatte. Es bleibt deswegen bei der vollen Haftung des Beklagten für den eingetretenen Schaden. Das der Klägerin gem. § 253 Abs. 2 BGB zustehende Schmerzensgeld bemisst der Senat mit 3.500 EUR. Die Klägerin hat gem. § 843 BGB Anspruch auf Ersatz des Schadens, der dadurch entstanden ist, dass sie unfallbedingt für mehrere Monate ihre Haushaltstätigkeit nicht oder nur eingeschränkt ausüben konnte. Hierfür erhält die Klägerin einen Ausgleich iHv 8 EUR / Stunde, also eine Entschädigung von 1.626,75 EUR. Im Hinblick darauf, dass bei Brüchen der vorliegenden Art selbst dann, wenn zur Zeit keine Beschwerden mehr vorhanden sind, Spätschäden nicht völlig auszuschließen sind, ist auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet. |